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Die Mesoebene: Familiäre Faktoren

Die Armut, in der sie leben, bedeutet für viele Eltern, daß sie ihre Kinder materiell nicht adäquat versorgen können. Für einige werden die Kinder zu einer unentbehrlichen Einkommensquelle. Viele Straßenkinder sagten, sie hätten zu Hause kaum etwas zu essen und wären von ihren Eltern auf die Straße geschickt worden, um zu betteln oder auf andere Weise Geld zu verdienen (Swart-Kruger/Donald, 1994, S.110). Einige Straßenkinder behaupteten, sie hätten sich entschieden, eine Arbeit zu suchen, um ihre Familie unterstützen zu können. Tshepo, ein Straßenkind bei Street-Wise, mußte die Schule verlassen, als sein Vater starb und seine Mutter nicht mehr in der Lage war, das Schulgeld zu bezahlen. Sie hatte keine geregelte Arbeit. Das Geld, das sie durch gelegentliche Aushilfstätigkeiten verdiente, war nicht genug, um ihre siebenköpfige Familie zu ernähren. Tshepo entschied sich daraufhin, zur Unterstützung seiner Familie eine Arbeit zu suchen. In Soweto fand er jedoch keine Arbeit und begann deshalb auf den Straßen von Johannesburg zu betteln (Newnham, 1992, S.37-38).

Auch wenn Armut ein wesentlicher Faktor zu sein scheint, deutet das noch junge Phänomen des massiven Auftretens von Straßenkindern in Südafrika auch auf andere Ursachen hin. Während die schwarze Bevölkerung schon seit langem mit Armut zu kämpfen hat, ist die durch die Apartheid forcierte Auflösung der traditionellen Großfamilien und der Zusammenbruch der sozialen Netzwerke erst jüngeren Datums. Die Zahl der Erwachsenen, von denen ein Kind finanzielle und emotionale Unterstützung erhalten konnte, verringerte sich dadurch drastisch. Oft beschreiben Straßenkinder ihre Situation zu Hause als eine, in der ihnen kaum geholfen wurde, die Schwierigkeiten ihrer alltäglichen Wirklichkeit zu meistern (Schärf u.a., 1986, S.269; Richter, 1991a, S.8). Die Hälfte der Straßenkinder, die an einer Studie in Johannesburg teilnahmen, kamen aus zerrütteten Familien (Richter, 1988, S.13). Die Rate unehelicher Kinder in Südafrika ist sehr hoch, in Kapstadt liegt sie für Schwarze bei 70% (Burman/Preston-Whyte, 1992, S.XIV). Viele Straßenkinder berichteten, daß sie ihre Väter nicht kannten, und daß außer ihren Müttern keine Verwandte wie Großmütter oder Tanten anwesend waren, um auf sie aufzupassen (Swart-Kruger/Donald, 1994, S.111). Peter (14), ein uneheliches Kind, wurde von seiner Mutter, die in einem weißen Vorort arbeitete, ausgesetzt, als er sieben Jahre alt war. Die Frau, die gegen Bezahlung auf ihn aufpassen sollte, wollte ihn nicht mehr betreuen, und er durfte nicht bei seiner Mutter im Servant's Quarter leben. Fünf Rand und eine Einkaufstüte mit Kleidung und Essen waren seine Ausrüstung für das Straßenleben (Swart, 1990a, S.60). Ohne andere Erwachsene, die sich um sie kümmern, haben Kinder wie Peter keine andere Wahl, als auf die Straße zu gehen.

Zur Verschlechterung des Familienklimas trägt auch die durch die Apartheidspolitik verursachte drückende Wohnungsnot bei. Eine Befragung der Straßenkinder bei Street-Wise ergab, daß durchschnittlich acht Personen in einem Haushalt lebten, wobei Haushalt in vielen Fällen eine Blechhütte in einem Squatter Camp bedeutet (Newnham, 1992, S.35). Zusammen mit den anderen Lebensumständen ist dies ein idealer Nährboden für psychische Konflikte, Alkoholismus und anderes soziopathologisches Verhalten wie körperlicher und sexueller Mißbrauch. Depression, Angst, Wut und Frustration werden von einigen Eltern an ihren Kindern ausgelassen (Swart, 1988a, S.34; Peacock, 1994, S.41). Die Familien von Straßenkindern wenden normalerweise Gewalt als Konfliktlösungsstrategie an. In zwei Untersuchungen über die Gründe für das Weglaufen wurden jedesmal Gewalt zu Hause und Alkoholmißbrauch als Hauptgründe angegeben (Cockburn, 1990, S.142; Keen, 1989, S.114). Viele Straßenkinder benennen die Stiefeltern als Täter (Schärf u.a., 1986, S.267; Richter, 1991b, S.7).


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Chris Pinkenburg
Fri Aug 23 21:56:28 CST 1996