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Die Konsequenzen für die schwarze Bevölkerung

 

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Während die weißen Südafrikaner ein auch im Vergleich mit Industrienationen hohen Lebensstandard genießen, lebt der überwiegende Teil der Schwarzen unter Bedingungen, die in Entwicklungsländern herrschen. 1991 lebten nach Schätzungen 16 Millionen Südafrikaner unter der Armutsgrenze von 600 Rand im Monat. Wie in anderen Ländern der dritten Welt ist die ländliche Bevölkerung am stärksten betroffen. In den Städten leben 33% der Haushalte in Armut, auf dem Land sind es 83% (Wilke-Launer/Kühne, 1993, S.421). Diese hohe Zahl begründet sich zum Teil darin, daß die schwarzen Landarbeiter mit ihren Familien in Hütten auf dem Gelände der weißen Farmen lebten und ein großer Teil der Bezahlung in Naturalien erfolgte. Ihr Lohn lag zum Teil bei nur 25-35 Rand pro Monat (Michler, 1991, S.257). Es war für sie unmöglich, ihre Situation zu verbessern, da sie als Landarbeiter genauso wie die Minenarbeiter ihren Beruf nicht wechseln durften.

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1994 waren ca. 45% der schwarzen Erwerbsfähigen arbeitslos. Berufsanfänger sind am härtesten betroffen, und nur ein Zehntel von ihnen findet eine Arbeit (Katzen, 1995, S.856). Besonders problematisch war die Situation in den Homelands, in denen ungefähr die Hälfte der Schwarzen lebte. Ihre Fläche betrug nur 13% der Gesamtfläche Südafrikas, und sie befanden sich meist in unwirtlichen Landstrichen, verfügten über keine nennenswerte Industrie und hatten bis auf Bophuthatswana keine Bodenschätze. Die meisten Familien besaßen gar kein Land oder zu wenig, um auch nur genügend Nahrungsmittel für den eigenen Bedarf zu produzieren. Es existierten zwar sogenannte ''Betterment Programmes'', mit denen der Ackerbau produktiver gemacht werden sollte, aber die Folge war meist, daß die Bevölkerung nur in Dörfern konzentriert wurde und schon der Weg zu den Feldern für viele zu weit wurde. Eine weitere Konsequenz war die Zerstörung der umliegenden Umwelt durch Abholzung, um den Bedarf an Feuerholz zu decken (Wilson/Ramphele, 1989, S.220-221). Um das Überleben ihrer Familie sichern zu können, waren daher viele Männer gezwungen, als Wanderarbeiter im weißen Südafrika ihr Glück zu versuchen. Auf der Verfügbarkeit dieser Arbeitskräfte aus den Homelands basierte die südafrikanische Industrie. Zur Anwerbung wurden eigens Rekrutierungsbüros in den Homelands eröffnet, die auch die notwendigen Genehmigungen (Paß, Arbeitserlaubnis) besorgten.

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Abbildung 2.4:  

Die ''Betten'' in einem Hostel einer Goldmine in Johannesburg (Magubane, 1979, S.79). In einem solchen Hostel hausten bis zu 12.000 Männer unter erniedrigenden Bedingungen.

Zur Unterbringung der Wanderarbeiter wurden in der Nähe der Fabriken und Minen vom Staat 240 Hostels errichtet. In diesen Hostels hausten bis zu 12.000 Männer unter erniedrigenden Bedingungen und ohne jegliche Privatsphäre. In den ''besseren'' Hostels teilten sich acht Männer einen Raum. Es gab aber auch Hostels wie in Abbildung 2.4, in denen mehrere Hundert Männer in einem Schlafsaal untergebracht waren. Frauenbesuch war grundsätzlich verboten. G.F.vanL.Froneman, ein Abgeordneter der Nationalen Partei, beschrieb die offizielle Politik folgendermaßen: ''Diese afrikanische Arbeitskraft darf nicht mit überflüssigen Anhängseln wie Ehefrauen, Kindern und Angehörigen belastet werden, die keine Dienstleistung vollbringen'' (Seedat,1986,S.10). Es kam aber trotzdem vor, daß die gesamte Familie illegal im Hostel des Ehemannes wohnte. Mojalefa Moseki, ein Sprecher der Stadtverwaltung von Soweto, sagte, daß im Johannesburger Raum etwa 30% der Hostelbewohner Frauen und Kinder sind (SAIRR, 1993, S.231). Insgesamt leben schätzungsweise eine Million Menschen in Hostels (Wilke-Launer/Kühne, 1993, S.457). Sie sind oft völlig überfüllt, und der Dachverband der südafrikanischen Gewerkschaften, der Congress of South African Trade Unions (Cosatu), behauptet, daß sich zum Teil sechs Hostelbewohner ein Bett teilen müssen (SAIRR, 1993, S.231).

Die in den Homelands zurückgelassenen Familien waren auf das Geld angewiesen, das die Männer ihnen nach eigenem Gutdünken aus der Stadt schickten. Dies kam aber oft nur unregelmäßig und war meist unzureichend. Die Männer kamen nur einmal im Jahr für wenige Wochen nach Hause, so daß ein normales Familienleben unmöglich war und die Kinder faktisch vaterlos aufwuchsen. Nicht selten gründeten die Männer eine zweite Familie in der Stadt und vergaßen ihre Familie in den Homelands. Einige Kinder beschrieben ihre Enttäuschung über den Vater: ''We find our fathers (in the towns) with concubines yet our mothers are starving. Besides, the sweethearts are as young as father's children. We get fed up and cannot communicate with our fathers'' (Wilson/Ramphele, 1989, S.199).

Frauen, die die Armut und die Einsamkeit in den Homelands nicht mehr ertragen konnten, gingen ebenfalls in die Städte. Hier fanden sie hauptsächlich als Hausangestellte in den weißen Vororten Beschäftigung. Als Kompensation für die schlechte Bezahlung von durchschnittlich 200 Rand im Monat durften sie bei ihren Arbeitgebern mietfrei wohnen. Praktisch alle Einfamilienhäuser im weißen Südafrika haben zu diesem Zweck ein Servant's Quarter, ein aus einem Raum bestehendes Häuschen im Garten. Der gleichzeitige Vorteil dieses Arrangements liegt für die Weißen in der 24-stündigen Verfügbarkeit der Hausangestellten. Da es schwarzen Frauen untersagt war, ihre Kinder mitzubringen, ließen sie sie meist in der Obhut von Verwandten, meistens den Großeltern, zurück. Der vorher schon erwähnte Abgeordnete der National Partei, G.F.vanL.Froneman, beschrieb die Situation der schwarzen Hausmädchen folgendermaßen: ''Es gibt alleinstehende afrikanische Frauen, die sinnvoll in den weißen Gebieten beschäftigt werden könnten; wiewohl es weiße Familien gibt, die ohne Haushaltshilfe nicht auskommen könnten, gehört eine Bantufrau jedoch in dem Moment in ihr Heimatgebiet, in dem sie eine Familie gründet'' (Seedat, 1986, S.10). Einer Untersuchung der South African Advertising Research Foundation von 1992 zufolge lebten 1,8 Millionen Kinder getrennt von ihren Müttern, die als Hausangestellte arbeiteten (SAIRR, 1994, S.160). Die negativen Auswirkungen solcher Trennungen auf die Bindung von Mutter und Kind zeigen schon sich darin, daß ein Viertel aller Straßenkinder, die in Johannesburg interviewt wurden, aus solchen Verhältnissen stammten (Swart-Kruger/Donald, 1994, S.112). Das Leben dieser Kinder war oft von Unsicherheit geprägt, da sie oft nach einiger Zeit zu anderen Verwandten geschickt oder zum Teil von ihren Geschwistern getrennt wurden. Auf diese Weise verloren manche Kinder völlig den Kontakt zu ihren Eltern. Es kam durchaus vor, daß sie ohne jegliche Adresse versuchten, ihre Eltern in den Großstädten zu finden.

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Abbildung 2.5:  

Kindheit in einem Squatter Camp. Mangelnde Spielplätze und fehlender Wohnraum zwingen schon kleine Kinder, einen großen Teil ihrer Zeit auf der Straße zu verbringen.

Neben den Wanderarbeitern, die vorwiegend in den Minen arbeiteten, gab es auch eine permanente schwarze Stadtbevölkerung. Für diese Stadtbevölkerung wurden nach dem Erlaß des Group Areas Act 271 große Satellitenstädte, die Townships, errichtet. Auch wenn sie auf südafrikanischen Landkarten normalerweise nicht eingezeichnet waren, haben sie oft mehr Einwohner als die weißen Städte, zu denen sie gehören. So hat zum Beispiel Soweto (South Western Township) zwischen zwei und vier Millionen Einwohnern, während Johannesburg nur 1,6 Millionen Einwohner zählt. Die Häuser in den Townships, auch Matchbox Houses genannt, sind klein und einfach gebaut. Das Standard Matchbox Haus hat vier Zimmer und ist nur 40,4 Quadratmeter groß. Um den weiteren Zuzug Schwarzer zu unterbinden, reduzierte die südafrikanische Regierung seit Mitte der sechziger Jahre drastisch den Häuserbau in den Townships. Heute leben deshalb im Schnitt zwischen sieben und zwanzig Personen in einem solchen Haus, und oft müssen sich mehrere Familien ein Haus teilen. Der South African Housing Trust schätzte 1993, daß etwa 3,4 Millionen Häuser in Südafrika fehlen. Gleichzeitig wurde die Entwicklung der Infrastruktur in den Townships vernachlässigt. 1993 lebten nur 30% der Schwarzen in Häusern, die an die Wasser- und Stromversorgung angeschlossen waren (Wilke-Launer/Kühne, 1993, S.457-458). Die Müllabfuhr und die Kanalisation funktionierten oft nicht, und es gab kaum öffentliche Einrichtungen oder auch nur Geschäfte. Die Weekly Mail, eine südafrikanische Wochenzeitung, berichtete zum Beispiel in ihrer Ausgabe vom 26.5.95, daß am ersten Juni 1995 der erste Buchladen in Soweto eröffnen wurde. Die einzige Ausnahme waren Bierhallen, die legal oder illegal (die sogenannten Shebeens) in ausreichender Zahl vorhanden waren.

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Abbildung 2.6:  

Phola Park, ein typisches Squatter Camp in der Nähe von Thokoza, etwa 50km von Johannesburg entfernt. Es gibt weder Wasser noch Strom für die etwa 30.000 Einwohner.

Der katastrophale Wohnraummangel hatte zur Folge, daß sich viele Schwarze in Wellblechsiedlungen (squatter camps) am Rande großer Städte und Townships niederließen. Diese illegalen Siedlungen waren ständig von Razzien bedroht, und viele wurden von der Polizei geräumt. Es kam aber auch vor, daß die zuständige Verwaltung eine rudimentäre Wasserversorgung einrichten ließ. Weil sich die Townships in ''sicherer'' Entfernung von den weißen Städten befanden und die Verkehrsmittel den Menschenmengen nicht gewachsen waren, dauerte der Weg zur Arbeit oft mehrere Stunden (von Soweto nach Johannesburg benötigt man typisch zwei Stunden). Die Ineffektivität der öffentlichen Transportmittel hat zur Entwicklung eines Sammeltaxisystems geführt. Dieses bietet die einzige lukrative Beschäftigung im informellen Sektor, in dem nach einer Schätzung der Universität Stellenbosch insgesamt 2,3 bis 3 Millionen Schwarzen ein Auskommen finden (Wilke-Launer/Kühne, 1993, S.459). Die Auseinandersetzung um profitable Taxi-Routen wird oft bewaffnet ausgetragen und fordert immer wieder Tote und Verletzte auch unter Unbeteiligten. In den ersten neun Monaten des Jahres 1994 starben 80 Menschen bei solchen ''Taxi Wars'', die meisten von ihnen Passagiere (SAIRR, 1995, S.447).

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Abbildung 2.7:  

Eine Bushaltestelle in Diepkloof bei Johannesburg (Magubane, 1979, S.46). Um sechs Uhr morgens haben sich schon lange Schlangen gebildet. Diese völlige Ineffektivität der öffentlichen Transportmittel führte zur Entwicklung eines flexiblen Sammeltaxi-Systems.

Für die Frauen, die einen Arbeitsplatz in der Stadt hatten, war die Betreuung der Kinder während ihrer Abwesenheit besonders problematisch. In den Townships standen nur für 0.4% der Kinder Krippenplätze zur Verfügung. 1983 ergab eine Befragung von 885 Arbeiterinnen, daß zwar der größte Teil der Kinder bei Verwandten, meistens den Großeltern, untergebracht werden konnte, aber in 10% der Fälle mußten die älteren Kinder die jüngeren Geschwister beaufsichtigen. 7% der befragten Frauen gaben an, die Kinder tagsüber sich selbst zu überlassen (Sigoro, 1986, S.157-158).

Auch die Gesundheitsversorgung für Schwarze entsprach eher der eines Entwicklungslandes. Für ganz Soweto gibt es nur ein einziges völlig überfülltes Krankenhaus, das Baragwanath Hospital. Während im Dezember 1967 Professor C.Barnard in Kapstadt die weltweit erste Herztransplantation durchführte, starb in den Homelands jedes zweite Kind vor seinem fünften Geburtstag (Weiss, 1980, S.9). Verantwortlich für die hohe Kindersterblichkeit waren neben den Folgen von Fehl- und Unterernährung auch Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Cholera oder Typhus, an denen auch in den Townships immer wieder Menschen sterben.

Das Bildungssystem für Schwarze diente dazu, sie auf ihre spätere ''Karriere'' als ungelernte Arbeiter vorzubereiten. Die unterschiedliche Zielsetzung von schwarzem und weißem Schulsystem zeigte sich schon in der Namensgebung der verantwortlichen Ministerien. Während für die Weißen in Transvaal das TED (Transvaal Education Department) verantwortlich war, wurden die schwarzen Schulen vom DET (Department of Education and Training) verwaltet. Für Weiße bestand im Gegensatz zu Schwarzen Schulpflicht. In Südafrika ist der Schulbesuch generell kostenpflichtig, wobei die Belastung relativ zum Einkommen für Schwarze wesentlich höher war. Staatliche Ausgaben für die Erziehung Schwarzer waren 1969/70 siebzehnmal geringer als für die Erziehung Weißer. 1993 wurde trotz der politischen und gesellschaftlichen Änderungen noch viermal mehr für die weißen Schulen ausgegeben (Wilke-Launer/Kühne, 1993, S.458).

Die Schulen für Schwarze waren schlecht ausgestattet, es mangelte an Räumen, Lehrern und Büchern. Die Klassen waren besonders in den Grundschulen überfüllt. 1953 kamen auf einen Lehrer 41 Schüler, 1979 hatte sich dieses Verhältnis auf 78 Schüler pro Lehrer verschlechtert (Nasson, 1984, S.17). Aufgrund der gestiegenen Ausgaben unterrichtete 1993 ein Lehrer durchschnittlich noch 51 Schüler (Wilke-Launer/Kühne, 1993, S.458). Ein großer Teil der Lehrkräfte war unqualifiziert, 1988 hatten 69% der Lehrer selber keinen Schulabschluß (Brittain/Minty, 1988, S.12). Körperliche Züchtigung war ein gängiges Mittel zur Disziplinierung und Motivation. Manchmal wurde dabei auch die Grenze zur Körperverletzung überschritten. Es gab immer wieder Fälle, in denen Schüler nachher mit gebrochenen Knochen ins Krankenhaus eingeliefert wurden (Holdstock, 1990, S.347). Unter diesen Bedingungen ist es nicht verwunderlich, daß 1978 nur 4% der schwarzen, aber 69% der weißen Schüler einen dem Abitur vergleichbaren Schulabschluß erreichten. Mehr als 50% der Kinder, die den Schulbesuch abbrachen, hatten die vierte Klasse nicht erreicht (Brittain/Minty, 1988, S.12).

1993 galten 8,3 Millionen Schwarze als funktionelle Analphabeten. Von diesen hatten 3,5 Millionen noch nie eine Schule besucht (Wilke-Launer/Kühne, 1993, S.458). Auch im Bezug auf die Schule waren die Schwarzen in den ländlichen Gebieten am stärksten benachteiligt. Hier hing es vom guten Willen der weißen Farmer ab, ob es eine Schule gab oder nicht. Die Farmer mußten 50% der Kosten tragen, und oft sahen sie keinen Vorteil in einer Schule. Auch die Schwarzen waren wenig motiviert, ihren Kindern einen Schulbesuch zu finanzieren, da die Bezahlung der Landarbeiter unabhängig von der Schulbildung war. Praktisch gab es auf dem Land keine Schulen, die über die vierte Klasse hinausgingen (deV.Graaf, 1988, S.22-23). Trotz alledem hat eine Ausbildung bei der schwarzen Bevölkerung insgesamt einen sehr hohen Stellenwert, und es gilt als wünschenswert, seinen Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen.

Die Politik der Apartheid zerriß die Familienverbände und beschleunigte den Bruch mit der traditionellen Lebensweise. Eltern kamen spät und müde nach Hause, so daß die emotionalen Bedürfnisse der Kinder unerfüllt blieben und sie größtenteils auf sich alleine gestellt aufwuchsen. Auch ihren Wunsch nach dem gleichen materiellen Wohlstand wie dem der weißen Kinder, mit deren Situation sie ihre eigene verglichen, konnten die meisten Eltern nicht erfüllen. Alleine und unzufrieden suchten sie Unterstützung bei ihren Freunden. Für viele schwarze Kinder gewann der Freundeskreis noch mehr Bedeutung als gewöhnlich. Einige suchten Anerkennung, Macht und auch den Lebensunterhalt in Straßenbanden, die ihnen gleichzeitig auch Abenteuer, Einkommen und eine Alternative zur Öde des Townships bot (Mokwena, 1992, S.40-41).

Die Kinder, die jeden Tag die gegen sie gerichtete Ungerechtigkeit spürten, stellten zunehmend die Autorität ihrer Eltern in Frage und verloren nach und nach den traditionell bei Schwarzen sehr hohen Respekt vor ihnen. Beeinflußt vom Black Consciousness Movement von Steve Biko gründeten Kinder und Jugendliche eigene, politisch aktive Organisationen. Der große Bruch mit dem Apartheidsregime geschah 1976, als die Regierung versuchte, Afrikaans statt Englisch als Unterrichtssprache einzuführen. Es gab landesweite Proteste der Schüler, die sich auch gegen das minderwertige Bildungswesen für Schwarze richteten.

Am 16 Juni 1976 eröffnete der Polizei das Feuer auf eine Schülerdemonstration in Soweto und verletzte und tötete zahlreiche Kinder. Überall im Land kam es zu Unruhen, und die Polizei besetzte die Townships. Dort versuchte sie, die schwarze Bevölkerung durch Terror und Gewalt einzuschüchtern. Tausende von Kindern wurden unter den Sicherheitsgesetzen festgenommen. Polizisten saßen in den Klassen und überwachten den Unterricht. Offiziell kamen innerhalb weniger Tage in Transvaal insgesamt 163 Schüler ums Leben. Zwölf von ihnen waren unter 10 Jahre alt. Das South African Institute of Race Relations ermittelte sogar eine Gesamtzahl von mehr als 600 Toten (Zentrum der Vereinten Nationen, 1986, S.96).

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Abbildung:  

Anrückende Polizei in einem Township, die versuchen soll, die Schüler davon abzuhalten, ihren Protest nach Johannesburg zu tragen (Magubane, 1979, S.107). Diese gepanzerten Fahrzeuge waren ein tagtäglicher Anblick in den Townships.

Es gelang der Polizei jedoch nicht, den vorherigen Zustand wiederherzustellen. Unruhen flackerten immer wieder auf, und Schüler wurden zum Träger des Protestes gegen die Apartheid. 1985 verhängte die Regierung zum ersten Mal den Ausnahmezustand. Auch Kinder und Jugendliche konnten somit wie Erwachsene vor Gericht gestellt oder ohne Gerichtsverfahren für lange Zeit festgehalten werden.

Das Detainee Parent's Committee schätzte, daß 1987 innerhalb von fünf Monaten 8.800 Kinder festgenommen wurden (Zonke, 1988, S.11). Die teilweise völlige Willkür dieser Festnahmen zeigte sich an dem Beispiel eines zwölfjährigen Jungen, der im Juni 1986 beschuldigt worden war, Steine auf das Auto eines Townshipverwalters geworfen zu haben. Er verbrachte elf Monate in Haft, bis ein Anwalt entdeckte, daß das Geständnis des Jungen in Afrikaans verfaßt war, eine Sprache, die er nicht verstand (Zonke, 1988, S.11). Kinder wurden aber nicht nur verhaftet. 1985 wurden nach offiziellen Angaben 201 Kinder und Jugendliche alleine von der Polizei getötet. 19 von ihnen waren jünger als zehn Jahre alt (Zonke, 1988, S.11). Diese Zahl beinhaltet nicht die Kinder, die durch das Militär getötet wurden, das auch regelmäßig in diese Unruhen eingriff.

Gefahr drohte den Kindern und Jugendlichen aber nicht nur von der Polizei, sondern auch von den Comrades. Die Comrades waren Gruppen von Jugendlichen, die die Aufgabe übernommen hatten, den Aufruf des ANC, Südafrika unregierbar zu machen, in die Tat umzusetzen. Unter dem Motto ''Freedom now, Education tomorrow'' zwangen sie Schüler mit Gewalt, den Unterricht zu boykottieren. Schwarze, die im Verdacht standen, Informanten der Polizei zu sein, wurden von ihnen öffentlich durch ''Necklacing'' hingerichtet. Die Methode des Necklacing besteht darin, dem Opfer einen mit Benzin getränkten Autoreifen um den Hals zu legen und anzuzünden.

Das Ausmaß der Gewalt in den Townships zeigte eine Untersuchung der Abteilung für Bildungsprojekte der Universität von Natal. Die Befragung von 244 schwarzen Schulkindern aus sechs Städten in Natal ergab, daß mehr als 80% den Tod eines Mitschülers miterlebt hatten. Der plötzliche Anstieg der Zahl der Straßenkinder in Durban und Port Shepstone wurde auf die zunehmende Gewalt in dieser von Unruhen am stärksten betroffenen Provinz zurückgeführt (SAIRR, 1993, S.308).

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Abbildung:  

Diese Bilder zeigen die Verwüstungen, die 1990 bei den Townshipunruhen in Phola Park (unten) und dem benachbarten Hostel (oben) angerichtet wurden. Nachdem die Einwohner des Squatter Camps die Hostelbewohner vertrieben und das Hostel zerstört hatten, kamen im September 1990 nachts Mitglieder der IFP und warfen ihrerseits Brandsätze in die Hütten. Laut Aussage der Bewohner von Phola Park kamen die Angreifer in Polizeifahrzeugen. Die Auseinandersetzungen, die zwei Tage dauerten, forderten etwa 80 Tote. Die Fotos machte ich bei Aufräumarbeiten, bei denen Studenten der Unversität von Witwatersrand mithalfen.

Die Hauptursache der politisch motivierten Gewalt unter Schwarzen ist der Machtkampf zwischen dem ANC und der Inkatha Freedom Party (IFP). Während der ANC im Untergrund arbeitete, gehörte die IFP unter ihrem Führer Mangosuthu Buthelezi eher zu den Nutznießern der Apartheid. Buthelezi stieg zum Premierminister des für die Zulustämme eingerichteten Homelands Kwazulu auf und profilierte sich im Laufe der Jahre als alleiniger Vertreter der Interessen der 6,5 Millionen Zulus, des größten schwarzen Stammes Südafrika (siehe Tabelle 2.3). Über die zulustämmigen Wanderarbeiter wurde die IFP zur dominierenden politischen Kraft in den Hostels. Der ANC dagegen vertritt zwar eine stammesunabhängige Politik, hat aber in Führungspositionen überproportional viele Xhosas, des mit 5,5 Millionen Mitgliedern zweitgrößten Stammes. Diese von den weißen Regierungen immer geförderten ethnischen Unterschiede zusammen mit den aggressionsfördernden Lebensbedingungen in den Hostels wurden zur treibenden Kraft der Auseinandersetzungen zwischen Hostelbewohnern und Einwohnern der umliegenden vom ANC dominierten Townships. Zwischen Februar 1990 und April 1994 starben bei diesen Auseinandersetzungen 15.000 Menschen (Brendan, 1995).

Die Zahl der Opfer von Gewaltverbrechen ohne politischen Hintergrund ist in den Townships noch weit höher. Zwischen Oktober 1989 und Februar 1991 wurden nach Polizeiangaben 26.300 Menschen ermordet. An einem ''normalen'' Wochenende werden in Soweto durchschnittlich neun Personen getötet, zwanzig Frauen vergewaltigt und 25 Raubüberfälle verübt (Mokwena, 1992, S.30). Auch die Polizei selber wird immer öfter Ziel von Anschlägen. 1993 wurden in Südafrika 271 Polizisten getötet, 1994 waren es 228 (Sapa, 1994).

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Aus der Aggressionsforschung ist bekannt, daß das häufige Erleben von Gewalt wiederum eigenes gewalttätiges Verhalten fördert. Der Schritt vom Opfer zum Täter ist unter solchen Umständen oft nur ein kleiner, und immer mehr Kinder und Jugendliche begehen selber Verbrechen. Während 1988 das Durchschnittsalter von Ersttätern noch 22 Jahre betrug, sank es 1990 schon auf 18 Jahre (Stavrou, 1993, S.3). 1992 begingen laut der Child Protection Unit der südafrikanischen Polizei 1.366 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren ein Verbrechen (SAIRR, 1994, S.160). Der Kampf gegen die Apartheid lieferte für die Täter die Legitimation für Diebstahl und Raubüberfälle, die als ''Repossession'' und ''Redistribution'' bezeichnet wurden. Viele Jugendliche, die sich aktiv dem Kampf gegen die Apartheid widmeten und sich im ''neuen Südafrika'' eine Verbesserung ihrer Situation und einen Anteil am Reichtum der Weißen erhofften, sind heute enttäuscht. Sie werden als die ''Lost Generation'' bezeichnet, weil sie wenig Schulbildung und realistisch gesehen keine Chance auf einen gut bezahlten Arbeitsplatz haben. Viele von ihnen sind mehr und mehr in das kriminelle Milieu abgeglitten und haben sich Straßenbanden angeschlossen, die zum Teil ganze Stadtteile der Townships unter ihrer Kontrolle haben.

Die Südafrikaner sind entweder direkt oder durch die Medien mit dieser Gewalt konfrontiert. Forschungen über die Auswirkungen von Gewalt ergaben, daß bei 60% bis 80% der Menschen, die Gewalt entweder direkt oder indirekt erlebten, Symptome von Post Traumatic Stress Disorder auftraten. Gerade Kinder sind psychologisch mehr gefährdet als Erwachsene. Untersuchungen nach Katastrophen ergaben, daß 80% der Kinder im Vergleich zu 30% der Erwachsenen noch zwei Jahre später Symptome von Post Traumatic Stress Disorder zeigten (Stavrou, 1993, S.3).

Seit den ersten Wahlen am 27. April 1994 existiert die Apartheid nicht mehr. Ihre Auswirkungen werden Südafrika aber noch lange prägen. Die ökonomischen und sozialen Bedingungen haben sich für die Mehrheit der Schwarzen nicht geändert, und ihre Hoffnungen auf eine rasche Verbesserung ihrer Situation haben sich nicht erfüllt. Die Wirtschaftskrise führte statt dessen zu einer weiteren Verschlechterung der Lebensbedingungen, die jetzt auch massiv die weiße Bevölkerung trifft. Es fehlen die notwendigen Investitionen, um die benötigten Arbeitsplätzen zu schaffen. Selbst unter günstigen Bedingungen, wäre ein Wirtschaftswachstum von 6%, das auch nur das Bevölkerungswachstum von 2.5% kompensieren würde, kaum erreichbar (CIA, 1995). Die Kämpfe um die politische Machtverteilung, verstärkt durch ethnische Unterschiede, werden noch ausgetragen. Es ist zu erwarten, daß immer mehr Menschen in die Städte strömen werden, um Arbeit zu finden. Bei einer Konferenz über Straßenkinder sagte Professor Maree von der Rand Afrikaans Universität, daß aufgrund der fortschreitenden Verarmung und der Bevölkerungsentwicklung die Zahl der Straßenkinder zunehmen wird (SAIRR, 1992, S.158).


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Chris Pinkenburg
Fri Aug 23 21:56:28 CST 1996