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Die Makroebene: Strukturelle und soziale Faktoren

Armut ist ein zentraler Faktor für das Auftreten von Straßenkindern. Die südafrikanischen Straßenkinder stammen alle aus den am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen, den Coloureds und den Schwarzen, und hier insbesondere aus den ärmeren Teilen. Die Gebiete, aus denen die Kinder kommen, sind durch dürftige Ressourcen, hohe Arbeitslosigkeit, überfüllte Schulen und durch den Mangel an Freizeitangeboten und Unterhaltungsmöglichkeiten gekennzeichnet.

Mangelnde Einrichtungen für elternlose Kinder tragen wahrscheinlich direkt zur Zahl der Straßenkinder bei. Eine Untersuchung ergab, daß ungefähr 10% der Straßenkinder Waisen sind (Richter, 1991b, S.7). Die existierenden staatlichen Einrichtungen, Kinderheime, geschlossene Heime (Places of Safety) und Besserungsanstalten (reform schools) sind nicht in der Lage, hinreichend für das ''child in need of care'' zu sorgen. Der juristische Begriff des ''child in need of care'' diente darüber hinaus der Polizei als Grundlage, willkürlich Straßenkinder festzunehmen. Diese Kinder werden meistens zu ''Places of Safety'' geschickt, von wo sie oft weglaufen und wieder zurück in die Stadt kommen. Ein solcher ''Place of Safety'' war neben staatlichen Heimen jeder Platz ''suitable for the reception of a child into which the owner, occupier or person in charge thereof is willing to receive a child'' (Starke, 1988, S.11). Im Apartheid-Südafrika erfüllten auch Gefängniszellen diese Definition.

Etwa 20% der befragten Straßenkinder in Hillbrow (Johannesburg) gaben an, schon in einem ''Place of Safety'' oder in einer Besserungsanstalt gewesen zu sein (Swart-Kruger/Donald, 1994, S.112). Die Kinder klagten über die schlechten Bedingungen in diesen Anstalten und den angeschlossenen Schulen. Sie bekämen nicht genug zu essen, müßten schwere körperliche Arbeit verrichten und würden geschlagen (Swart, 1990a, S.61). Wenn die Polizei solche Ausbrecher aufgriff, brachte sie sie meistens sofort zu derselben Anstalt zurück.

Das in Kapitel 2.3 beschriebene unzulängliche Schulsystem ist laut den Aussagen vieler Straßenkinder bei Street-Wise ein weiterer wichtiger Grund, von zu Hause wegzulaufen. Es gibt zuwenige Sonderschulen, und speziell Kinder mit Lernschwierigkeiten werden im normalen Unterricht völlig überfordert. Sie werden von ihren Mitschülern als dumm lächerlich gemacht und werden von ihren Lehrern wegen Faulheit geschlagen. Gerade Kinder mit schwierigem familiären Hintergrund sind durch solche Erfahrungen besonders gefährdet. Eine ehemalige Lehrerin beschrieb die Situation dieser Kinder folgendermaßen: ''Imagine coming to school and being beaten up and then going home and being beaten up again. You have to leave one or the other. So you leave school first. That is less difficult.'' (Schärf u.a., 1986, S.271). Aus einer Gruppe von 31 Straßenkindern in Kapstadt hatten nur vier akademische Erfolge erlebt. Diese Kinder waren die einzigen, die Freude am Schulbesuch gehabt hatten. Die übrigen 27 Kinder berichteten über Unzufriedenheit und Mißerfolge während ihrer kurzen schulischen Laufbahn (Schärf u.a., 1986, S.269).

Die gesetzlichen Bestimmungen für Landarbeiter und deren Interpretation seitens der Farmer führten auch dazu, daß Kinder von zu Hause vertrieben wurden. Gesetzlich durften Farmer nur eine festgelegte Zahl von schwarzen Landarbeitern mit ihren Familien auf ihrer Farm unterbringen. Jugendliche über 16 Jahren mußten daher die Farm verlassen, um die Zahl der erlaubten Erwachsenen nicht zu überschreiten. Einige Farmer benutzten dieses Gesetz als Vorwand, auch Kinder unter 16 Jahren zu vertreiben (Swart, 1988b, S.12). Bimbo (14) wurde weggeschickt, als er sieben Jahre alt war. Der Farmer setzte ihn eines Tages am Straßenrand ab: ''I look. Is nowhere just the veld. I get out. He start riding again. The other man on the lorry he sorry me, throw down the cold mealiepap (Maisbrei) in the newspaper to eat, and fifty cents; shouts ...''Go to eGoli (Johannesburg), THAT way'' (Swart, 1990a, S.60).

In den letzten Jahren kommen immer wieder Kinder aufgrund der in Kapitel 2.3 beschriebenen Unruhen in den Townships in die Städte. Sie kommen oft mit der Zustimmung ihrer Eltern, die das für sicherer halten, als zu Hause zu bleiben.

Mittelfristig wird erwartet, daß auch durch die hohe Rate von HIV-Infektionen in Südafrika die Zahl der Straßenkinder ansteigen wird. Es wird geschätzt, daß 6% der schwangeren Frauen in Soweto HIV-positiv sind und daß bis zum Jahr 2010 ungefähr 137.000 Kinder aus Soweto ihre Eltern durch AIDS verloren haben werden (SAIRR, 1995, S.306,323).


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Chris Pinkenburg
Fri Aug 23 21:56:28 CST 1996