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Der First Phase Shelter: Tshepo

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Abbildung 4.9:  

Der Innenraum von Tshepo. Die Kinder schliefen auf doppelstöckigen Betten in einer unbenutzten Kirche.

Im März 1990 ging die Polizei plötzlich mit erneuter Härte gegen die Straßenkinder in Hillbrow vor. Fünfzehn der Kinder, die noch auch der Straße lebten, aber schon Street-Wise besuchten, wurden nachts festgenommen. Solche Razzien wurden von der Polizei meist am späten Abend durchgeführt, weil viele Kinder dann vom Klebstoffschnüffeln berauscht unvorsichtig werden und nicht mehr so leicht entkommen können. Die anderen Kindern suchten bei Street-Wise Zuflucht. Zu der Zeit war der Shelter noch in Planung und es wurde den Kinder erlaubt, ein paar Nächte in den Schulräumen und im Minibus der Organisation zu verbringen, um sie vorerst aus dem Blickfeld der Polizei verschwinden zu lassen.

Ihre fehlende Einsicht in die Konsequenzen ihrer Handlungen richtete die Aufmerksamkeit der Polizei wieder auf sie. Die ganze Gruppe fing an, auf einer großen Kreuzung direkt vor dem damaligen Gebäude von Street-Wise Autofahrer anzubetteln. Als die Polizei kam, flüchteten die Kinder zu Street-Wise, und ich stand plötzlich vor einem wütenden Polizisten mit gezogener Waffe. Nachdem ich ihn beruhigt hatte, gab er uns eine Stunde Zeit, die Kinder zu entfernen. Daraufhin wurde der Shelter in einer unbenutzten Kirche ungefähr fünf Kilometer von Hillbrow entfernt vorzeitig bezogen. Er erhielt den Namen Tshepo, Sotho für Hoffnung.

Der Aufbau von Tshepo, wo es zunächst weder Betten noch Duschen gab, fand deshalb von Anfang an mit Hilfe der Kinder statt. Die rapide zunehmenden Verbesserungen hatten einen sehr positiven Effekt auf die Motivation der Kinder und ihr Verhältnis zu ihrem Shelter, was bei einem bezugsfertigen Gebäude wahrscheinlich nicht der Fall gewesen wäre. Obwohl der Shelter rudimentär ausgestattet war und nur aus einem einzigen Raum mit doppelstöckigen Betten bestand, wurde versucht, eine Atmosphäre der Geborgenheit zu kreieren. Die Kinder durften in eigener Verantwortung den Innenraum gestalten.

Die Regeln für das Leben im Shelter wurden gemeinsam mit den Kindern aufgestellt. In Diskussionen über die Konsequenzen für die Übertretung einzelner Regeln waren die Vorschläge seitens der Kinder zum Teil wesentlich härter (Schläge, Essensentzug und Rauswurf) als die der Betreuer. Es wurde letztlich vereinbart, jeden Vorfall individuell zu behandeln.

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Abbildung 4.10:  

Die Kinder mußten bei der Hausarbeit helfen. Ihre Kleidung wuschen sie selber.

Die Kinder mußten sich an der Hausarbeit beteiligen und waren für das Waschen ihrer Kleidung selbst verantwortlich. Es bestanden keine Restriktionen für die maximale Aufenthaltsdauer im Shelter. Die einzige Bedingung war, daß die Kinder am Schulprojekt von Street-Wise teilnahmen. Weil Tshepo ein paar Kilometer vom Schulgebäude entfernt lag, wurden die Kinder jeden Morgen vom Shelter abgeholt und nach Ende der Schule wieder zurückgebracht. Nachmittags bekamen sie Hausaufgabenhilfe. Es wurden auch Sport- und Freizeitaktivitäten angeboten, die oft von freiwilligen MitarbeiterInnen organisiert wurden.

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Abbildung 4.11:  

Eine Hauptattraktion war der Fernseher in Tshepo. Wie bei Kindern ihrer Altersklasse üblich, waren Action-Filme besonders beliebt.

Einmal wöchentlich erhielten die Kinder Taschengeld, um zu verhindern, daß sie gezwungen waren, auf der Straße zu betteln oder auf andere Weise Geld zu verdienen. Die Streichung des Taschengeldes wurde auch als Strafe für die Übertretung von Shelterregeln benutzt. Ich muß zugeben, daß das Taschengeld nicht den gewünschten Effekt hatte. Nur wenige Kinder hörten auf, auf den Straßen von Hillbrow zu betteln oder durch Autoparken Geld zu verdienen. Die Höhe des Taschengeldes konnte auch nicht mit dem Verdienst auf der Straße konkurrieren. Zum Teil hatte das Taschengeld sogar einen kontraproduktiven Effekt. Einige Kinder fingen an, Geld von ihren Kameraden zu leihen, was sie eine Woche später mit zum Teil 100% Zinsen zurückzahlen mußten. Oft waren sie dazu nicht in der Lage und flüchteten daraufhin zurück auf die Straße.

Immer wenn ein Kind vom Shelter wieder auf die Straße ging und eine der für Straßenkinder typischen Fluchtreaktion vermutet wurde, versuchten die BetreuerInnen es in den Straßen von Hillbrow zu finden, um sein Problem zu besprechen und gegebenenfalls mit ihm zusammen lösen zu können. Es sollte ihnen damit gezeigt werden, daß bei Konfrontationen mit Schwierigkeiten noch andere Möglichkeiten außer der Flucht existieren. Im allgemeinen erhielt man auch Hilfe von den anderen Kindern bei der Lokalisierung des Gesuchten.

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Abbildung 4.12:  

Im Garten von Tshepo wurde ein Tischtennis-Tisch aufgestellt, der regen Zuspruch fand.

Ein häufiges Problem in Sheltern ist der Mißbrauch von kleineren Kindern durch Ältere. Während gewalttätige Auseinandersetzungen meistens offen ausgetragen werden und von den BetreuerInnen sofortige Gegenmaßnahmen ergriffen werden können, ist der sexuelle Mißbrauch kaum zu kontrollieren, da auch die Opfer hierüber im allgemeinen nichts erzählen. Die einzige Möglichkeit ist, die Gelegenheit für sexuellen Mißbrauch weitgehend zu reduzieren. Tshepo hatte deshalb keinen separaten Raum für die Betreuer, die sich so den ganzen Tag bei den Kindern aufhielten. Nachts schliefen sie im selben Raum mit ihnen. Trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen ließ sich sexueller Mißbrauch nicht völlig verhindern.

Eine Gefahr von Sheltern ist, daß sie eine gewisse Anziehungskraft auf Kinder aus den tristen Townships haben. Es gibt dort viele Spielkameraden, Freizeitaktivitäten, Ausflüge und regelmäßiges Essen, Dinge die es besonders in den Squatter Camps nicht gibt. Einmal bat ein Junge um Aufnahme in den Shelter, der schon vom Zustand seiner Kleidung her kein Straßenkind war. Der Child Care Worker erklärte ihm, daß der Shelter im Moment leider voll belegt sei. Der Junge bedankte sich daraufhin artig und hinterließ seine Telefonnummer, wo wir ihn anrufen sollten, sobald ein Platz frei wäre. Auch wenn wir versuchten, solche Fällen auszusortieren, bin ich sicher, daß wir ein paar weniger Bedürftige im Shelter hatten. Einmal erhielt ich einen Anruf von einem Vater, der uns sogar Schulgeld für seinen Sohn bezahlen wollte.

Obwohl versucht wurde, auch extremen Problemjugendlichen individuell zu helfen, mußten einige des Shelters verwiesen werden. Diese Jugendlichen wurden nach und nach zu einem existenzbedrohenden Problem. Sie trieben sich nach dem Rauswurf meist in der Nähe des Shelters herum und brachten die Nachbarschaft durch ihre kriminellen Aktivitäten (Autoaufbrüche, Drogenhandel) gegen den Shelter auf. Es war vorwiegend der Druck der Anwohner auf die anglikanische Kirche, den Besitzer des Sheltergebäudes, der 1992 den Umzug des Shelters nach Hillbrow erzwang.


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Chris Pinkenburg
Fri Aug 23 21:56:28 CST 1996